Die Täuschung führt sich hinter's Licht

Peter Friese
Zunächst ein kleiner Exkurs in die Antike:

Der griechische Maler und Bildhauer Zeuxis galt zu seiner Zeit als besonders großer Künstler, weil Vögel an seinen gemalten Trauben picken wollten. So wirklichkeitsnah waren diese gemalt.

Parrhasios, der große Konkurrent hingegen bat Zeuxis wetteifernd in sein Atelier, um ihm sein neuestes Werk zu zeigen, das sich hinter einem Vorhang verbergen sollte. Doch als Zeuxis den Vorhang beiseite ziehen wollte, mußte er feststellen, daß dieser gemalt war. Er gab sich schließlich geschlagen, denn Parrhasios konnte nicht nur Vögel täuschen, sondern sogar ihn, den großen Zeuxis.

Die Legende des antiken Künstlerwettstreites verklärt den immer wieder der Kunst unterstellten Abbildungszwang zu einem Dogma, dem selbst die größten Künstler zu entsprechen hatten.
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Der Künstler als Affe der Natur?

Weintrauben und Vorhänge als Non plus Ultra der Malerei?

In der Tat sind Handwerklichkeit und Raffinement der Illusionsverfahren gelobt, bewundert und oft genug (zu Unrecht) zum Kriterium für ,,künstlerische Qualität" befördert worden. Was aber bringt die perfekte Erfüllung eines illusionistischen Abbildungszwanges mehr als die blödsinnige Verdopplung von längst Gekanntem und Bewußtem? Die Geschichte der perspektivischen Verfahren, des Trompe l'oeil' der Illusionismus in der Dekkenmalerei des Barock, die Realismen der 20er Jahre unseres Jahrhunderts bis hin zum Fotorealismus und zu den Skulpturen von Duane Hanson und John de Andrea belehren uns dabei eines Anderen. Bei näherer Beschäftigung mit ihnen wird klar: Illusionstechniken können nur dann Bestandteile von Kunst sein, wenn über den puren handwerklichen Darstellungseffekt hinausgehende Intentionen, Ideen, Infragestellungen vorliegen. D.h. die Täuschung des Betrachters muß u. a. zugleich auch intellektuelle Strategie sein, sie muß etwas noch nicht Vermutetes bewußt machen und bisherige Grenzen von Wahrnehmung erweitern. Man kann durchaus alle genannten historischen Beispiele mit derartigen Intentionen in Verbindung bringen, sie sind – bei näherer Betrachtung – mehr als nur perfekte Täuschungen.

Madame Tussaud machte demnach etwas völlig anderes als Duane Hanson, obwohl sich die Resultate vom Standpunkt der Handwerklichkeit, d.h. formal sehr stark ähneln.
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Expander, Propeller Wenyon & Gamble, 1984
top The Chemical Change: A Pan, 1984

Im Zeitalter der Fotografie, der massenhaft verbreiteten Druckerzeugnisse, der Flut der Fernsehbilder und schließlich der Computersimulationen, die keine Vor-Bilder mehr aus der ,,eigentlichen Realität" brauchen, um sich selbst ,,authentisch" und ,,natürlich" zu simulieren, ist der Raum, in dem sich Kunst neben oder zusammen mit der Illusion ansiedeln kann, allerdings verschwindend eng geworden.

Zu banal und zu billig erscheint es, Totalsimulationen wie die Holographie im künstlerischen Sinne einzusetzen. Zu stark ist diese Technik schon vermarktet und zum Panoptikumseffekt, zur optischen Sensation degeneriert. Es sei denn, man setzt Banalität und Illusion reflektiert ein, indem man von vornherein nur Banales simuliert und den billigen Jahrmarkts effekt (der technisch derartig aufwendig ist) von vornherein affirmativ mitinszeniert – mit banalen Bildgegenständen wie Küchengeräten oder Brillen zum Beispiel
Das englische Team Wenyon & Gamble etwa führt holographische Kompositionen unter Verwendung alltäglicher Themen aus, doch geben sie sich nicht mit dem kurzlebigen ,,Schock des Erkennens" zufrieden, der von diesen geisterhaften, dreidimensionalen Erscheinungen ausgelöst wird. Ganz bewußt verwerfen sie den dokumentarischen Ansatz, den viele Holographen bevorzugen, und zeigen keine Sympathie für jene ironischen optischen Tricks, die sie oft dem neuen Medium eine marktschreierische Vulgarität verleihen. Um eine ästhetische Kontinuität bemüht, erzeugen sie mit Laserlicht abstrakte Farbmuster auf ihren holographischen Platten und montieren ihre Arbeiten häufig auf Stative, die an das Genre der Staffelmalerei erinnern. Rahmen und Stative sind jeweils von Hand bemalt, um die Laser-Sprenkel mit ihrem geschichtlichen Ursprung in Beziehung zu setzen (und vielleicht als ironische Anspielung darauf, daß der holographische Prozeß manuelle Geschicklichkeit vorraussetzt). Für Michael Wenyon und Susan Gamble ist Holographie eine Fortführung der kreativen Möglichkeiten und keine abrupte, futuristische Usurpation früherer Techniken.
David Galloway, "Artware", Hamburg 1986
Wenyon & Gambles Holographien führen in ihrem souveränen Umgang mit der perfekten Täuschung diese selbst hinter's Licht. Sie ent-täuschen und enthalten letztlich behutsame und kritische Strategien, Illusionen als Bestandteile der Wirklichkeit in differenzierter Weise zu akzeptieren, sie also weder von ihr besserwisserisch abzusetzen, noch mit ihr zu verwechseln.
Friese, Peter, ‘Die Täuschung führt sich hinter’s Licht: Wenyon & Gamble’, in Künstlichkeit und Wirklichkeit : e. Ausstellung d. VHS (KUNST IM PROJEKT) ... vom 2. bis 20. Dez. 1987 (Wuppertal: Volkshochschule, VHS (Kunst im Projekt), 1987), pp. 54–55

Eine Ausstellung der VHS (KUNST IM PROJEKT) in Zusammenarbeit mit APPENDIX Galerie und Werkstatt mit Unterstützung des Kulturamtes Wuppertal
vom 2. bis 20. Dezember 1987
Volker Anding, Bernh. Joh. und Anna Blume, Joan Fontcuberta/Pere Formiguera, Monika Günther, Volker Hildebrandt, Heinz Kleine-Klopries, Daniel Poensgen, Sigmar Polke, Lydia Schouten, R. M. E. Streuf, Wenyon & Gamble, VA Wölfl, Bill Woodrow